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Maikäfer, flieg!Overlay E-Book Reader

Maikäfer, flieg!

Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich. Roman | Christine Nöstlinger

E-Book (EPUB)
2011 Beltz
Auflage: Neuausgabe
224 Seiten; ab 12 Jahre
ISBN: 978-3-407-74298-8

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Kurztext / Annotation
Eine Familiengeschichte aus dem Nachkriegs-Wien, voll Komik und Tragik. Eine Pulverlandgeschichte, die wirklich passiert ist. Sie handelt von sehr verschiedenen Menschen, aber auch von Trümmerbergen, in der Hauptsache aber von der Freundschaft, die ein neunjähriges Mädchen mit einem russischen Koch verbindet. Cohn, der Soldatenkoch aus Leningrad, wird zum Symbol der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit.

Christine Nöstlinger, geb. 1936, lebte in Wien. Sie veröffentlichte Gedichte, Romane, Filme und zahlreiche Kinder- und Jugendbücher die mit vielen, auch internationalen Preisen ausgezeichnet wurden. Für ihr Gesamtwerk wurde sie mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis ausgezeichnet. Sie starb am 28. Juni 2018.

Langtext
Eine Familiengeschichte aus dem Nachkriegs-Wien, voll Komik und Tragik.
Eine Pulverlandgeschichte, die wirklich passiert ist. Sie handelt von sehr verschiedenen Menschen, aber auch von Trümmerbergen, in der Hauptsache aber von der Freundschaft, die ein neunjähriges Mädchen mit einem russischen Koch verbindet. Cohn, der Soldatenkoch aus Leningrad, wird zum Symbol der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1.
Das Haus
Die Großmutter · Der Radiokuckuck
Die Hannitante
Silberne Perlenketten vom Himmel

Ich war acht Jahre alt. Ich wohnte in Hernals. Hernals ist ein Bezirk von Wien. Ich wohnte in einem grauen, zweistöckigen Haus. Im Parterre, die letzte Tür. Hinter dem Haus war ein Hof. Mit Abfallkübeln, mit einer Klopfstange und einem Hackstock2). Und hinten im Hof, an der Klofenstermauer, stand ein Zwetschkenbaum. Aber Zwetschken waren nie auf ihm. 2) Diese Geschichte spielt in Wien. Notwendige Dialektformen, vor allem in der wörtlichen Rede, dürften dem Leser verständlich genug sein, so dass Worterklärungen nicht notwendig sind. Namen oder Begriffe aus der Zeit vor und nach 1945, die jungen Lesern nicht immer geläufig sein können, erklärt jedes Lexikon. Unter unserem Haus war ein Keller. Der größte und beste Keller im ganzen Häuserblock. Gute Keller waren wichtig. Gute Keller waren wichtiger als schöne Wohnzimmer und vornehme Schlafzimmer. Wegen der Bomben. Es war Krieg. Es war schon lange Krieg. Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern, dass einmal kein Krieg gewesen war. Ich war den Krieg gewohnt und die Bomben auch. Die Bomben kamen oft. Einmal habe ich die Bomben gesehen. Ich war bei meiner Großmutter. Die wohnte auch in unserem Haus. Im Parterre, die erste Tür. Die Großmutter war schwerhörig. Ich saß mit der Großmutter in der Küche. Die Großmutter schälte Erdäpfel und schimpfte auf die Erdäpfel und auf den Krieg. Sie sagte, vor dem Krieg hätte sie der Gemüsefrau solche dreckigen, fleckigen Erdäpfel an den Kopf geschmissen. Die Großmutter zitterte vor Wut über die schwarzfleckigen Erdäpfel. Die Großmutter zitterte oft vor Wut. Sie war eine wilde Frau. Neben der Großmutter, auf der Küchenkredenz, stand das Radio. Das Radio war ein Volksempfänger, ein kleiner schwarzer Kasten mit einem einzigen, roten Knopf. Der war zum Anstellen, Abstellen, zum Leiserdrehen und zum Lauterdrehen. Der Volksempfänger spielte Marschmusik, dann hörte die Marschmusik auf, eine Stimme sagte: »Achtung, Achtung! Feindliche Kampfverbände im Anflug auf Stein am Anger!« Nachher war keine Marschmusik mehr. Die Großmutter schimpfte weiter auf die Erdäpfel und den Krieg; jetzt auch auf den Blockwart. Sie war ja schwerhörig. Sie hatte die Durchsage im Radio nicht verstanden. Ich sagte: »Großmutter, die Flieger kommen.« Ich sagte es nicht sehr laut. Ich sagte es so, dass es die Großmutter nicht hörte. Wenn die Flieger erst in Stein am Anger waren, war es nämlich noch gar nicht sicher, ob sie nach Wien flogen. Sie konnten noch woandershin abbiegen. Ich wollte nicht umsonst in den Keller laufen. Die Großmutter rannte immer schon in den Keller, wenn die Flugzeuge in Stein am Anger waren. Sonst, wenn meine Mutter oder meine Schwester oder mein Großvater zu Hause waren und ihr sagten, dass die Flieger kommen. Die Flieger bogen nicht ab. Kreischend kam es jetzt aus dem Volksempfänger: »Kuk kuk kuk kuk kuk kuk ...« Das war das Zeichen, dass die Bombenflugzeuge auf Wien zuflogen. Ich ging zum Fenster. Auf der Gasse lief die Hannitante. Die Hannitante war eine alte Frau. Sie wohnte drei Häuser weiter und der Krieg und die Bomben hatten sie verrückt gemacht. Unter dem einen Arm trug die Hannitante ein hölzernes Klappstockerl, unter dem anderen Arm trug sie eine zusammengerollte karierte Decke. Die Hannitante lief und rief dabei: »Der Kuckuck schreit! Leut, der Kuckuck schreit!« So rannte sie bei jedem Bombenangriff um den Häuserblock, immer wieder rund um den Häuserblock. Sie wollte einen sicheren Keller finden. Aber kein Keller war ihr sicher genug. Sie rannte keuchend, zitternd, »kuckuck« schreiend, bis der Bombenangriff vorüber war. Dann ging sie nach Hause, klappte gleich hinter der Wohnungstür das Klappstockerl auf, setzte sich, legte die karierte Decke auf die Knie und wartete, bis

Christine Nöstlinger, geboren 1936 in Wien, lebt als freie Schriftstellerin abwechselnd in ihrer Geburtsstadt und im Waldviertel. Sie schreibt Kinder- und Jugendbücher und ist für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen tätig. Christine Nöstlinger erhielt für ihr Werk die "Hans-Christian-Andersen-Medaille", den "Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis", 2011 den "Lifetime Award", den "Ehrenpreis Corine 2011" sowie das "Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich".